Lieber Herr Heller,
Erst mal herzlich willkommen, noch ein Kenner an Bord, was uns alle, und mich ganz besonders erfreut!
Man muss das damalige Vorgehen, vor über einem halben Jahrhundert, mit anderen Augen als heute sehen: Damals (und auch in jüngerer Zeit bis vielleicht vor etwa 10-15 Jahren) hat sich niemand Gedanken über Faunenverfälschung gemacht. Auch danach wurden noch sehr oft Organismen (Pflanzen und Tiere) in ferne Länder verbracht, in der Hoffnung, damit z.B. Gegenspieler zu Schädlingen einzubringen, oder, wie in der Forstwirtschaft üblich, Baumarten mit besseren Wuchseigenschaften, höherem Holzertrag usw. zu bekommen. Noch heute werden immer wieder neue Schlupfwespen (im weitesten Sinne) und andere Nützlinge auch bei uns angesiedelt, heute allerdings nach sehr komplizierten Prüfungen und unter strengen Auflagen (vgl. Informationen der Biologischen Bundesanstalt, z.B.
http://www.ianus.tu-darmstadt.de/Projekte/ProjekteD.php)
In den 50er und 60er Jahren herrschte bezüglich des Nutzens der Waldameisen eine übertriebene Euphorie. Man glaubte, sie auch in anderen Ländern zum Forstschutz gegen Schadinsekten verbreiten zu können. So wurden z.B. auch Waldameisen nach Kanada geliefert.
Die Ansiedlungen von Formica lugubris im Appennin, im Samenwald von Sasso Fratino (Naturbestand Weißtanne!) haben wir 1963 im Rahmen einer Exkursion des Gößwald-Instituts besichtigt. Da schienen sie noch ganz in Ordnung. Aber danach herrschte Funkstille: Es hat sich wohl niemand mehr darum gekümmert.
Mit amerikanischen und kanadischen Kollegen hatte ich bereits eine umfangreiche Korrespondenz. Die meisten hatten keine Ahnung, dass eine solche Einbürgerung versucht worden war. Und keiner konnte über irgendwelche noch vorhandenen Bestände berichten, auch nicht A. Francoeur in Québec, der beste Kenner der kanadischen Ameisenfauna. Vielleicht haben wir Glück gehabt und die Ansiedlung ist erloschen?
Inzwischen wissen wir zunehmend, dass solche Verfrachtungen äußerst fragwürdig sind. Die Beispiele total fehlgeschlagener Einbürgerungen, die sich zu katastrophalen Schäden an den einheimischen Faunen und Floren entwickelt haben, sind allmählich ins öffentliche Bewusstsein gesickert. Das Bundesnaturschutzgesetz verbietet Einbürgerungsversuche von Fremdorganismen ausdrücklich, mit Ausnahme weniger potenzieller Nützlinge, unter sehr strengen Auflagen, so wie oben bereits gesagt.
Sollte jemand, der Waldameisen bestimmen kann, in den genannten Regionen unterwegs sein, wäre es schön, wenn man auf WA achten könnte und ggf. Proben an Mitglieder der DASW einsenden würde. Es wäre ganz sicher interessant zu wissen, was aus jenen Ansiedlungsversuchen geworden ist.
A. Buschinger