Hallo schmidi,
Die biologische Artdefinition von Ernst Mayr (der ja kürzlich im Alter von 100 Jahren verstorben ist!), also freie Kreuzbarkeit aller Artangehörigen, hat auch heute noch ihre Bedeutung. Leider ist die Kreuzbarkeit in den meisten Fällen nicht experimentell überprüfbar, weil man viele Arten (bisher) einfach nicht züchten kann, und weil es bei der Unzahl von Tierarten geradezu unendlich viel Aufwand machen würde.
Also muss man sich in den meisten Fällen mit morphologischen Merkmalen begnügen (und oft genug liegt man damit falsch; deutlich verschieden gestaltete Tiere gehören dennoch derselben Art an, z.B. bei ausgeprägten Polymorphismen. So manche Ameisenart hat 3 oder mehr Namen bekommen, je nachdem, ob die Beschreiber Arbeiterin, Major, Soldat oder Königin zur Hand hatten. Nicht immer standen ganze Kolonien zur Verfügung).
Bei unserer eigenen Spezies haben m.o.w. glückliche Umstände gezeigt, dass sich Angehörige jeder Rasse mit Angehörigen jeder beliebigen anderen Rasse fruchtbar fortpflanzen können. Damit hat sich der Beweis für die Einheitlichkeit der Spezies Homo sapiens von selbst eingestellt. (Ich fürchte, dass ein extraterrestrischer Systematiker, der nicht die Zeit hätte, unsere Reproduktionsbiologie zu beobachten, aus unserer Art viele Arten, wahrscheinlich sogar in mehreren Gattungen, machen würde

).
Molekulargenetisch sind, wie Sie richtig vermuten, die Grenzen ebenfalls fließend. Man sequenziert die Basenpaare der DNS, bestimmte Abschnitte, die man leicht amplifizieren (vermehren) kann und die in vielen Arten auch in ähnlicher Form vorliegen.
Dann findet man, dass eine bestimmte Sequenz von, sagen wir 600, Basenpaaren bei zwei Individuen zu 95 % oder 98 % oder mehr übereinstimmt. Nun ist es wieder eine Konvention, dass man z.B. sagt: bei weniger als 98 % Übereinstimmung sind es zwei Arten. Man kann damit auch ganz daneben liegen!
Immerhin lassen sich damit ganz tolle Sachen herausfinden. So werden die Mitochondrien ja nur von den Müttern vererbt (in der Eizelle sind sehr viele, während im Spermium nur ein paar zu finden sind, die bei der Befruchtung oft auch noch außen vor bleiben. Mitochondrien sind die Kraftwerke der Zelle, die Nährstoffe abbauen und dabei energiereiches ATP, Adenosintriphosphat, freisetzen. Dieses wiederum kann für alle möglichen Syntheseleistungen, aber z.B. auch für die Muskelbewegung verwendet werden). Diese Mitochondrien sind eine Art Endosymbionten, zu Beginn der organismischen Evolution eingefangene Bakterien, mit eigener, für Bakterien charakteristischer DNS. Analysiert man nun eine Sequenz aus Mitochondrien-DNS und eine Sequenz aus der Kern-DNS eines Individuums und vergleicht diese beiden Sequenzen mit denen anderer Individuen, lässt sich z.B. zeigen, dass bei einer bestimmten Spezies die Weibchen philopatrisch sind, lieber am Geburtsort sich begatten lassen und dort verbleiben, während die Männchen lieber weiter fliegen und sich mit ganz fremden Weibchen verpaaren. Die mitochondriale DNS von Weibchen an einem Ort ist dann ähnlicher als ihre Kern-DNS. So etwas haben wir gerade mit Myrmica rubra und ihrem Sozialparasiten M. microrubra gemacht.
Der Artstatus der Formica rufa und polyctena wird schon lange heiß diskutiert. Das geht mal hin, mal her. Seifert hat eindeutig Hybride der beiden Formen im Freiland gefunden. Man könnte sie ohne weiteres auch als Subspezies bezeichnen. Auch hier ist es eine Konvention, dass man sie derzeit als Arten auffasst. Bis der nächste Myrmekologe eine gute Veröffentlichung schreibt, in der er wieder ihren Status als Subspezies begründet. Leider gibt es da keinen gangbaren Weg, solches Hin und Her endgültig auszuschließen.
Zum Ameisenforum schreibe ich Ihnen eine e-mail, das muss nicht öffentlich sein.
Herzliche Grüße,
Ihr A. Buschinger